Die drei Quellenweiber


Vielleicht habt ihr schon von den  drei Quellenweibern gehört, die manchmal in das Schicksal eines Menschen eingreifen. Nein? So lasst euch berichten.

Afra war bei ihrer Großmutter auf dem Gschwendtner Hof nahe der Würm nicht weit von München aufgewachsen. Sie und ihre Oma hatten gerne am Fluß und im Wald Kräuter gesammelt. Besonders bei der kleinen Kapelle der drei Tugenden, die im Dorf nur die Kapelle bei den Quellenweibern hieß, waren die besten Kräuter zu finden. Im Schatten der alten Linde hatten sie dem Gluckern des Bachs, der aus der Quelle entsprang und dem Gezwitscher der Vögel, in der riesigen Krone über ihnen, gelauscht. Dabei verspeisten sie Obst und kleine Quarkkühlein. Wenn Afra nicht mehr ruhig sitzen wollte, erzählte ihr die Oma von den drei heiligen Weibern, sang ihr alte seltsame Lieder vor oder erklärte, wie man die gepflückten Kräuter verwenden solllte. Dabei wiederholte sie immer: „Liebe Afra, halte mir die heiligen Weiber, ihre Quelle und Lieder in Ehren. Wir sind für sie da.“

Afra hatte sich das alles gut gemerkt, jedoch niemandem davon erzählt, denn die Leute nannten die Großmutter oft eine Spinnerin oder gar eine alte Hexe. Damit wollte Afra ganz und gar nichts zu tun haben. Eines Tages war dann die Großmutter sehr krank geworden und bald darauf gestorben.

Nun begann für Afra ein völlig neues Leben. Sie zog in die Stadt, ging in eine riesengroße Schule und musste viele neue Dinge lernen. Doch je mehr sie lernte, umso mehr vergaß sie die Geheimnisse, die sie mit ihrer Großmutter geteilt hatte. Nur ihre Liebe zu den Kräutern blieb. Jahre später betrieb sie mit ihrem Mann eine kleine Apotheke. Doch die Medikamente wurden immer künstlicher und unnatürlicher. Jedes Mal, wenn Afra vorschlug, doch auch Naturmedizin anzubieten, schalt er sie: „Du  dumme Kräuterhexe du, das will doch keiner mehr haben. Heute braucht man das alte Zeug nicht mehr. Schluss aus. Ich will nichts mehr hören.“  

Was anfangs mit einem Schmunzeln gesagt wurde, hörte sich bald grimmiger an und irgendwann bildete Afras Liebe zu den Kräutern den Anlass für viele Auseinandersetzungen.

Immer häufiger suchten Afra nun Alpträume heim. Meist sah sie das Dorf ihrer Kindheit, in dem eine Frau grausam misshandelt, ermordet und bei der alten Kapelle verscharrt wurde. Ihre Arbeit und ihre Gesundheit litten darunter. Nichts wollte helfen. Als letzten Ausweg beschloss Afra, alleine in das Dorf der Kindheit zu fahren. Der Weg dorthin war umständlich und lang, obwohl die Stadt doch so nah war.

Im alten Dorfkrug nahm Afra ein Zimmer, denn der Hof der Großmutter war von den Eltern verkauft worden. Sie schlenderte durchs Dorf, doch das war nicht mehr ihr Dorf. Alles wirkte heruntergekommen. Maschendraht zwischen Betonstempen ersetzte die Latten- und Jägerzäne, die alten Fensterläden gab es nicht mehr und selbst die Balkone waren kahl, ohne die rosa und roten Blütenorgien aus Geranien. Den Dorfeingang verunzierte eine riesige, hässliche Hühnerfarm. Der Gestank von Tausenden von  Hühnern in einer Halle verpestete die Luft. Neben der Halle lief ein braunes Rinnsal, das eine wüste, pflanzenlose Spur durch die angrenzende Wiese zog.

Afra wurde klar, sie musste zu der Quelle und der alten Linde. Erst wollte sie sich in der Bäckerei noch etwas zu trinken und ein, zwei Küchlein kaufen, doch die Bäckerei war durch einen winzigen, vollgestopften Selbstbedienungsladen ersetzt. Neben der Kasse lag ein Stapel mit Flugblätern gegen den drohenden Ausbau der Hühnerfarm. Daneben knitterte eine dazugehörende Unterschriftenliste mit mageren vier Unterschriften vor sich hin. Als die Kassiererin Afras Interesse bemerkte, erklärte sie: „Im oidn Gschwendtner Hof san itzt zwoa Bioweiba. Dene is des ois a Dorn im Aug. De woin unsa Dorf wieda schee macha. Aba wos soi ma den macha, de Hehnafarm g’ehrt am Burgermoaster sein Bruada.“

Afra setze ihre Unterschrift unter die Liste. Hiier war einiges im Argen. Dabei hatte sie doch gehofft, hier Hilfe zu finden. Sie machte sich züig auf den Weg zur Quelle. Bei der Kapelle angekommen, konnte sie kaum glauben was sie sah. Die Kapelle war halb eingefallen, im Vorraum quollen Berge von Müllscäken über und das barocke Bildnis der drei Tugenden war verschwunden. Die alte Linde trug kaum noch Blätter, vereinzelte Äste ragten einsam in den Himmel. Am schlimmsten jedoch war der Gestank des kleinen Rinnsals von der Hühnerfarm, das kurz hinter der Kapelle in den Bach mündete. Keine Blüten, keine Kräuter, ja noch nicht einmal Gras gedieh am Rand dieses Abwassergrabens und auch ein kurzes Stük den Bach entlang. Doch das klare Wasser des Bachs nahm die giftige Jauche auf und trug sie ungesehen weiter.  

Ungestört von dem Dreck, der sie umgab, sprudelte die heilige Quelle wie eh und je zwischen duftenden Krätern und Blumen aus der Wand der kleinen Anhöe. Die Mündung des Grabens war mit Stacheldraht gesichert und Afra sah keine Möglichkeit ihn einfach zu verstopfen, was sie am liebsten getan häte. Die alte Mahnung der Großmutter fiel ihr wieder ein. Sie musste etwas für die Quellenweiber tun, wenn sie auch nicht wusste was. Ohne darauf zu achten wohin, lief sie los. Als sie sich endlich wieder umsah, stand sie vor dem alten Gschwendtnerhof ihrer Großmutter. Zwei junge Hunde tanzten bellend um sie herum und nach einiger Zeit kam eine junge Frau in Jeans und Gummistiefeln aus dem Stall auf Afra zu. „Na Stoderin, host di valafa?“, fragte sie freundlich.

„Nein, nein, ich bin  Afra, ich bin hier aufgewachsen. Und als ich diesen Frevel bei der heiligen Quelle der Weiber gesehen habe, bin ich vor Schreck den Weg gelaufen, wie ich ihn aus der Kindheit kannte“, erkläte Afra.

„Luise kim, do is oane, de da her g’ehrt, vielleicht konn uns de wos erklän“, schrie sie laut in Richtung Scheune und setzte leise hinzu, „I bin de Anne, kim trink ma an Kaffee.“   

Erst auf der gemütlichen Eckbank in der alten, großen Kühe mit einem großen Stück Hefekuchen und einem Haferl Kaffee vor sich, konnte sich Afra vorstellen.

Bald fragte Luise: „Was ist das mit der Quelle? Wieso ist die heilig?“  

Afra erzählte von ihrer Großmutter, von den Geschichten, die ihr plötzlich wieder einfielen und die sie so lange vergessen hatte, von den Kräutern und dass es früher viele Wallfahrten zur Kapelle und zur Quelle gegeben hatte. Ja sogar die alten Lieder fielen ihr plözlich wieder ein. Sie sang sie den beiden andächtig lauschenden  Bäuerinnen vor. Je läger sie erzählte und sang, umso leichter wurde ihr ums Herz.

Als sie alles erzählt hatte, schlug die praktische Anne vor, die heilige Quelle doch wieder herzurichten. „Wenn unsa Quelln scho heilig is, dann miass ma wos doa dafü.“

Zu dritt luden sie einige große Pflastersteine auf und fuhren sie zur Quelle. Sie verstopften mit den Steinen die Mündung des stinkenden Grabens und verfrachteten die Müllsäke in die Mülldeponie. Anschließend feierten sie auf dem Hof und kehrten in der Nacht tanzend und singend zur Quelle zurük. Der Vollmond strahlte über der alten Linde und drei helle Wolken schwebten wie tanzende Weiber darüer hinweg.

Am nächsten Morgen hing der Gestank des überlaufenden Abwassergrabens dick über der Hühnerfarm. Da tauchte üerraschend eine Kontrolle des Landratsamtes auf. Die Beamten konnten bei diesen Verhätnissen auch beim Bruder des Bügermeisters kein Auge mehr zudrüken. Endlich musste eine ordentliche Kläanlage gebaut werden.

Afra, Anne und Luise waren von der Hilfe der drei Quellenweiber üerzeugt. Zu Ehren der heiligen Weiber feierten sie ein großes Fest, zu dem sie das ganze Dorf einluden. Afra wollte nicht mehr weg, denn hier war sie glüklich, gesund und von den Alpträumen befreit. So machte sie auf dem Hof der neuen Freundinnen einen kleinen Kräuterladen auf. Ihrem Mann ging sie sicher nicht ab. Der Laden war bald üer die Dorfgrenzen hinaus bekannt und manchmal sieht man einige Leute mit Blumen und Kerzen zur alten Kapelle bei den Quellenweibern wandern.         

© Anna Banfhile, 2004







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