Die goldene Feder


Franka stemmte die Arme auf die Hüften. Wütend funkelten ihre meergrünen Augen unter dem schwarzen Pony hervor, als sie erklärte, dass heute keine Märchen mehr geschähen und ihr Onkel Frederik endlich im einundzwanzigsten Jahrhundert ankommen solle.

Sie holte tief Luft und legte los: „Du sitzt hier bei deinen alten Büchern und denkst dir wunderschöne Geschichte aus, doch die will keiner mehr hören. Heute gibt es weder edle Prinzessinnen noch tapfere Prinzen oder irgendwelche Drachen. Die Kids wollen so was nur in Computer- und Videospielen, vielleicht noch in Fantasyfilmen haben, aber nicht mehr als einfach erzählte Geschichten. Du und deine Märchen, ihr gehört einfach nicht mehr in diese Zeit. Du musst etwas tun, sonst hast du bald kein Geld mehr zum Leben.“

Frederik in seiner ausgebeulten, dunklen Cordhose mit den Hosenträgern über dem karierten Flanellhemd, und der schon mehrfach geflickten schwarzen Strickjacke schien wirklich nicht in diese Zeit zu gehören. Er betrachtete durch die runde Nickelbrille seine hübsche Nichte, die wütend vor ihm stand, um ihm zu sagen, wie er sein Leben auf die Reihe kriegen solle. Von Hightech Turnschuhen, engen Jeans, lässigem Netzhemd über knappem Top bis zum gepiercten Nabel, zeigte sie ihm die fremde Gegenwart.  

„Nun du kennst doch deinen Cousin Bertram. Findest du nicht, dass er gerade das Gegenteil beweist?“

„Natürlich kenne ich Bertram. Das ist der langweilige Kerl, der seine Nase immer nur in Fachbücher steckte. Er ist bei dir aufgewachsen, nachdem seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen. Doch was soll daran an ein Märchen erinnern?“

Frederik bat sie schmunzelnd Platz zu nehmen, dann erst begann er mit der Geschichte.

„Nun du scheinst wirklich nichts über seinen Werdegang zu wissen. Dabei seid ihr doch beide im Schatten des Vogels mit der goldenen Feder geboren. Daran erinnerst du dich doch, oder?“ Das Kopfschütteln Frankas, ließ ihn ein wenig weiter ausholen. „Ja wenn du dich noch nicht einmal daran erinnerst. Das Haus deiner Urgroßmutter Felizitas, ein wunderschöner Jugendstilbau, wenn du mich fragst, ist euer beider Geburtsort. Im Glas der Eingangstür ist ein herrlich bunter Vogel abgebildet, in dessen Schwanz eine goldene Feder leuchtet. Der Zauber des Vogels über unsere Familie wirkt auf euch."  

Räuspernd setzte sich Frederik zurecht, während Frankas Fuß ohne ihr bewusstes Zutun wippte.

„Vor einigen Monaten kam Bertram ganz aufgelöst zu mir. Er ist ja ein kluger Mann, deshalb hat er seit einigen Jahren ein Stipendium an einer Privatuniversität. Er machte gerade seinen Doktor in Jura. Doch er hat wenige Freunde. Denn wenn man in der Sprache von Märchen bleibt, sind es die Prinzen und Prinzessinnen, die dort studieren, und Bertram gehörte nicht zu ihnen.

Nun wie gesagt, er kam ganz aufgelöst zu mir, denn er hatte eine junge Frau kennengelernt, die so ganz anders war. Giovanna studierte Kunst und Philosophie und interessierte sich für die Dinge, die auch ihm gefallen. Ihr ist nicht der Wert des Kunstwerkes wichtig, sondern die Schönheit und die Harmonie darin. Bertram verliebte sich im ersten Moment in diesen Engel. Seine Kommilitonen vergällten ihm dieses Glück jedoch, sobald sie ihn mit Giovanna sahen.

Sie verhöhnten ihn, ob er sich in ihre ‚Kategorie‘ einheiraten wolle, denn sie sei die Tochter eines Pizza - Königs. Ihr Vater besitzt eine Kette von Pizzerien, Eisdielen und Feinkostgeschäften, und er ist in seinen Ansichten sehr altmodisch. Seine Tochter konnte nur ein Erbe aus reichem Haus glücklich machen. Für Bertram war sie also unerreichbar.

Er kam mit dieser Enttäuschung zu mir. Ich tröstete ihn und erzählte ihm dann, von dem Zauber, der in unserer Familie schon seit Jahrhunderten wirkt. Alle aus unserer Familie, die bereit sind, eine goldene Feder zu finden, und ich muss dir gestehen, der Vogel hat viele Arten von goldenen Federn, können sich mit seiner Hilfe einen Wunsch erfüllen. Sobald sie es schaffen, haben sie unerwartetes Glück. Leider konnte ich Bertram keinen Hinweis geben, wie er den Vogel oder die Feder findet, denn der Weg ist für jeden anders. Doch wenn er die Feder gefunden hat, wird er sie immer in seiner Nähe haben.

Schon am nächsten Tag traf er sich mit Giovanna. Die Semesterferien standen bevor. Er fürchtete, sie nicht wieder zu sehen, also gestand er ihr sein Liebe. Er gab auch zu, dass er ein armer Schlucker sei. Doch Giovanna ermutigte ihn, dass er sicher eine Lösung finden würde. Sie würde auf jeden Fall versuchen ihren Vater von seinen altmodischen Ideen abzubringen.

Nach ihrer Abreise begab er sich zum Haus von Felizitas, die einige Monate zuvor gestorben war. Dort rückten gerade die Bauarbeiter zur Renovierung an. Im letzten Moment konnte Bertram das Glasbild mit dem Vogel vor der Zerstörung retten. Frisch gerahmt hängte er das Bild in seine sonst sehr karge Studentenbude. Er setzte sich Stunden davor und meditierte, doch es kam keine Idee. Schließlich gab er auf. In dem Haus musste noch etwas anderes sein, das ihm half. Also ging er abends noch einmal zu dem inzwischen wie ein Gerippe dastehenden Haus von Felizitas. Ein riesiger Container mit Bauschutt und Gerümpel versperrte ihm den Weg. Er kletterte ohne viel Überlegung hinein und begann zu suchen. Vielleicht fand er ja dort einen Hinweis, was er machen könnte.

Zwei zerfledderte, gedruckte Familienchroniken und ein äußerst zerfranster Stammbaum waren seine Schätze, die er aus Schutt und Staub barg. Er machte sich wieder auf den Heimweg, in der Hoffnung, nun etwas zu finden, was ihm weiterhalf. Doch die Bücher waren in alter Schrift gedruckt, die Bertram kaum lesen konnte. Die Handschrift des Stammbaums konnte er noch weniger entziffern. Doch er scheute die Mühe nicht und beschäftigte er sich mit den dicken, aber schon sehr kaputten Einbänden. Darauf waren nur noch schwach die Reste vom früheren goldenen Abbild des Vogels zu erkennen. Bertram versuchte die schlimmsten Schäden zu beheben, da bemerkte er eine Unebenheit unter dem Ledereinband, die er unbedingt beseitigen wollte. Am Ende lag ein kleiner Stahlschlüssel mit beidseitigem Bart und einer gestanzten Nummer darauf in seiner Hand. Bertram geriet ganz aus dem Häuschen. Das war ein Schlüssel für ein Bankfach.

Die Nummer 288 kam ihm irgendwie bekannt vor. Er kramte in einem Haufen Papier mit seiner abgelegten Post, denn nach Felizitas Tod hatte er von ihrem Rechtsanwalt einen Brief bekommen. In dem stand, er würde den Inhalt des Schließfaches 288 in der örtlichen Sparkasse erben, aber bedauerlicherweise sei der Schlüssel dazu nicht auffindbar. Ohne den Schlüssel könne man das Fach leider nicht öffnen.  

Es dauerte eine Weile, bis er das Schreiben fand, denn er hatte es voller Wut unter Reklame geknüllt. Mit dem arg zerknitterten Brief und dem Schlüsselchen ging er zur Bank. In dem Schließfach befand sich ein alter Füller mit dem Zettel ‚das ist deine goldene Feder‘ neben einem Brief, in dem Bertram die Mitarbeit in der Kanzlei von Felizitas Rechtsanwalt angeboten wurde. Außerdem lag noch eine kleine mit einem goldenen Vogel verzierte Schatulle dort, die mit Diamanten gefüllt war.

Er hielt nun ohne Bangen um seine reiche Prinzessin an. Da Giovanna ihren Vater von ihrer Liebe erzählt hatte, gab der unter diesen Umständen gerne sein Einverständnis. Vor zwei Monaten haben sie geheiratet. Da sie ohne meine Geschichte nie zusammengekommen wären, zahlen sie mir nun eine lebenslange Rente. Deine Sorge um mich ist also rührend aber überflüssig, liebe Franka, denn der Zauber unserer Familie schützt auch mich.“

Grübelnd blieb Franka nach dem Abschied noch vor der Tür stehen. Sollte sie Onkel Frederik nach Bertrams Adresse fragen? Ein eigenes Märchen mit goldener Feder käme ihr gerade recht.  

© Anna Banfhile, 2004

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